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Kinematisches Kontrollgesetz zur Steuerung des Roboters

Die Lösung für das Kontrollproblem aus Abschnitt 4.4 soll hergeleitet werden. Setzt man den Ansatz $ u = \gamma e \ $   mit$ \
\gamma > 0$ (Formel (4.7)) in die Zustandsvariablen

$\displaystyle \dot e$ $\displaystyle =$ $\displaystyle -u \cos \alpha$  
$\displaystyle \dot \alpha$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \- u \left(c - \frac{\sin \alpha}{e} \right)$  
$\displaystyle %%label{dgio}\\
\dot \theta$ $\displaystyle =$ $\displaystyle u \frac{\sin \alpha}{e}$  

ein, so ergibt sich
$\displaystyle \dot e$ $\displaystyle =$ $\displaystyle -\gamma e \cos \alpha$  
$\displaystyle \dot \alpha$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \- \gamma e \left(c - \frac{\sin \alpha}{e} \right)$ (7.21)
$\displaystyle \dot \theta$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma \sin \alpha.$  

Das obige gewöhnliche Differentialgleichungssystem ist über die Position $ (e,\alpha,\theta)$ rückgekoppelt und wird durch den Roboter gelöst. Die Fahrt des Roboters entspricht einer Simulation und damit auch der Lösung des Systems. Die verbleibende Aufgabe besteht darin, für die Konstante $ c$, die zu fahrende Krümmung, einen Term zu finden, so dass garantiert werden kann, dass die Null-Lösung $ (0,0,0)$ stabil ist. Zusätzlich soll sich das System dieser Konfiguration kontinuierlich annähern [46]. Eine solche Stabilisierung von dynamischen Systemen durch Rückkopplung stellt eine der wesentlichen Aufgaben der Steuerungstheorie dar.

Die Null-Lösung heißt stabil, wenn es zu jedem $ \boldsymbol{\varepsilon }> \mathbf{0}$ ein $ \boldsymbol{\delta}> \mathbf{0}$ gibt, das nicht von der Zeit $ t$, sondern nur von $ \boldsymbol{\varepsilon }$ abhängt, so dass für jede Anfangskonfiguration kleiner $ \boldsymbol{\delta}$ die Lösung der Differentialgleichung auf die ganze positive Halbachse $ t > 0$ fortsetzbar und für alle $ t > 0$ diese Lösung kleiner als $ \boldsymbol{\varepsilon }$ ist (vgl. Abbildung A.8) [6].

Abbildung A.8: Stabile Gleichgewichtslagen.
\scalebox{.4}{\includegraphics{pictures/stabil}}

Ist das zu lösende Differentialgleichungssystem linear, beispielsweise $ \dot \mathbf{x}= \mathbf{A}\mathbf{x}$, gibt folgender Satz Auskunft über die Stabilität der Null-Lösung.

Satz 11   Sei $ \dot \mathbf{x}= \mathbf{A}\mathbf{x}$ eine lineare Differentialgleichung. Sind alle Eigenwerte $ \lambda$ des Operators $ \mathbf{A}$ in der linken Halbebene, also $ Re(\lambda) < 0$, dann ist die Null-Lösung stabil und alle Lösungen konvergieren gegen diese. Man nennt diese Eigenschaft in diesem Zusammenhang auch asymptotisch stabil (Stabilität zuzüglich Konvergenz).

Beweis:Siehe [6].$ \Box$

Offensichtlich ist das Differentialgleichungssystem (A.21) nicht linear. Im nichtlinearen Fall kann die Methode von Lyapunov für den Stabilitätsnachweis verwendet werden. Die Lyapunov Funktion ist eine skalare Funktion $ V$, definiert über einer verbundenen Region $ R$, die den Nullpunkt enthält. Sie ist darüber hinaus positiv definit, d.h. es gilt $ V(\mathbf{0}) = \mathbf{0}$ und $ V(\mathbf{x}) > \mathbf{0}$ für alle $ \mathbf{x}\neq \mathbf{0}, \ \mathbf{x}\in R$. Weiterhin sind ihre ersten partiellen Ableitungen an jedem Punkt von $ R$ stetig. Die Ableitung von $ V$ für ein beliebiges System $ \dot \mathbf{x}= \mathbf{f}(\mathbf{x})$ wird mit $ \dot V(\mathbf{x})$ bezeichnet und ist definiert als das Skalarporodukt

$\displaystyle \dot V(\mathbf{x}) = \nabla V(\mathbf{x}) \cdot \mathbf{f}(\mathbf{x})$      

[77]. Die Existenz einer Lyapunov Funktion, für die $ \dot V(\mathbf{x}) \leq \mathbf{0}, \ \mathbf{x}\in R$ gilt, garantiert die Stabiltät der Null-Lösung. Handelt es sich bei $ \dot V$ sogar um eine negativ definite Funktion, also $ \dot V(\mathbf{0}) = \mathbf{0}$ und $ \dot V(\mathbf{x}) <
\mathbf{0}$ für alle $ \mathbf{x}\neq \mathbf{0}, \ \mathbf{x}\in R$, dann ist die Null-Lösung sogar asymptotisch stabil [77].

In physikalischen Systemen lässt sich die Stabilität durch die Betrachtung der Gesamtenergie nachweisen. Bleibt diese Energie gleich oder sinkt sie, ist die Stabilität sofort klar. Die Gesamtenergiefunktion ist dann die Lyapunov Funktion [37]. Die Bestimmung einer Energiefunktion erfordert in der Regel die Lösung des vorliegenden Differentialgleichungssystems. Ist nur die Stabilität von Interesse, versucht man eine Lyapunov Funktion zu raten.

Die nun folgende Rechnung zeigt, dass eine Lyapunov Kandidatenfunktion bei geeigneter Wahl von $ c$ die Stabilität der Lösung von (A.21) garantiert. Weiterhin werden die auftretenden Grenzwerte nachgewiesen und unter anderem folgender kleiner Hilfssatz benutzt:

Satz 12 (Barbalats Lemma)   Sei $ f: \mathbbm{R}^ + \to \mathbbm{R}$ eine gleichmäßig stetige Funktion. Wenn $ \int_0^\infty f(s) \, ds < \infty$ gilt, folgt $ \lim_{t \to \infty} f(t) = 0$.

Die quadratische Lyapunov Kandidatenfunktion

$\displaystyle V = \frac{1}{2} \left( \alpha^2 + h \theta^2 \right)$   mit$\displaystyle \quad h > 0$      

hat die Ableitung nach der Zeit
$\displaystyle \dot V = \alpha \dot \alpha + h \theta \dot \theta = \gamma (\alpha \sin \alpha + h \theta \sin \alpha - \alpha e c).$      

Die letzte Gleichung suggeriert die Wahl von $ c$ als
$\displaystyle c = \frac{\sin \alpha}{e} + h \frac{\theta}{e} \frac{\sin \alpha}{\alpha} + \beta \frac{\alpha}{e}$   mit$\displaystyle \quad \beta, h > 1$     (7.22)

[46], wodurch die Ableitung der Lyapunov Kandidatenfunktion $ V$ zu
$\displaystyle \dot V = - \gamma \beta \alpha^2 \leq 0$     (7.23)

wird. Da $ V$ positiv definit ist und radial unbegrenzt, impliziert Gleichung (A.23), dass $ V$ ein positives endliches Limit besitzt [46]. Daher sei:
$\displaystyle \lim_{t \to \infty} \alpha$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \bar \alpha$  
$\displaystyle \lim_{t \to \infty} \theta$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \bar \theta.$  

Zusätzlich gilt, dass $ \dot V$ gleichmäßig stetig ist ( $ \ddot V =
-2\gamma\beta\alpha\dot\alpha$ ist begrenzt). Dies impliziert durch Barbalats Lemma, dass $ \dot V$ gegen Null strebt, also folgt $ \bar
\alpha = 0$. Die Substituierung der Gleichung (A.22) in (A.21) ergibt:
$\displaystyle \dot e$ $\displaystyle =$ $\displaystyle -\gamma e \cos \alpha$  
$\displaystyle \dot \alpha$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \- \gamma \left(\beta \alpha - h \theta \frac{\sin \alpha}{\alpha} \right)$ (7.24)
$\displaystyle \dot \theta$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma \sin \alpha.$  

Da $ \alpha$ gegen Null und $ \theta$ gegen $ \bar \theta$ strebt und weil $ \dot \alpha$ stetig ist, folgt mittels Barblats Lemma, dass das Limit
$\displaystyle \lim_{t \to \infty} \dot \alpha = - \gamma h \bar \theta = 0$      

ist. Daher muss auch der Grenzwert von $ \theta$ Null sein ( $ \bar
\theta = 0$) [46]. Die letzte der Gleichungen in (A.24) impliziert, dass auch $ \dot \theta$ asymptotisch gegen Null strebt. Es ergibt sich folgendes Ergebnis:
$\displaystyle \alpha \to 0$ $\displaystyle ;$ $\displaystyle \dot \alpha \to 0$  
$\displaystyle \theta \to 0$ $\displaystyle ;$ $\displaystyle \dot \theta \to 0.$  

Wenn $ t \to \infty$, existiert ein $ t^*$ von dem $ \cos \alpha > 0$ und $ e$ asymptotisch exponentiell gegen Null konvergieren:
$\displaystyle \dot e \to - \gamma e ~ \leadsto ~ e \to 0.$      

Durch diese Überlegungen ist das Kontrollgesetz (4.7) und (A.22) nachgewiesen. Das Verhalten hängt von den Parametern $ \gamma, \beta$ und $ h$ ab. $ u$ hat einen endlichen Wert, solange $ e$ und $ \gamma$ endlich sind. Auch die Winkelgeschwindigkeit $ \omega$ muss begrenzt sein. Dazu analysiert man $ \lim_{(e,\alpha,\theta) \to
(0,0,0)} c$. Wenn $ \alpha$ gegen Null geht, können die Zustandsgleichungen aus (A.24) durch folgendes lineare System approximiert werden:

$\displaystyle \dot e$ $\displaystyle =$ $\displaystyle -\gamma e$  
$\displaystyle \left( \begin{array}{c} \dot \alpha \\ \dot \theta \end{array} \right)$ $\displaystyle =$ \begin{displaymath}\left[
\begin{array}{cc}
- \gamma \beta & -h\gamma\\
\gamma ...
...]
\left( \begin{array}{c} \alpha \\ \theta \end{array} \right).\end{displaymath} (7.25)

Gleichung A.22 wird in diesem Grenzfall zu:
$\displaystyle c$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{\alpha}{e}( 1 + \beta ) + h \frac{\theta}{e}.$  

Die Zielpose $ (0,0,0)$ soll auf einer geraden Linie erreicht werden, d.h. dass die Krümmung $ c$ gegen Null konvergieren muss. Dies gelingt, wenn der Realteil des dominanten Pols der Gleichung (A.25) größer als $ \gamma$ ist (vgl. Satz 11) [46]. Durch Berechnung der Eigenwerte der Matrix des Systems in (A.25)
$\displaystyle \lambda_{\pm} = \frac{\gamma}{2} \left(-\beta \pm \sqrt{\beta^2-4h} \right)$      

und der Bedingung $ \lvert Re(\lambda_{+}) \lvert > \gamma$ ergeben sich die Forderungen für die Konstanten
$\displaystyle h > 1 \quad ; \quad 2 < \beta < h + 1$     (7.26)

[46]. Werden $ h$ und $ \beta$ so gewählt, wie Gleichung (A.26) vorschreibt, ist $ c$ während der ganzen Trajektorie begrenzt und konvergiert asymptotisch gegen Null.

Im oben hergeleiteten Kontrollgesetz für $ u$ (4.7) und $ c$ (4.8) ist die Geschwindigkeit abhängig vom Abstand. Da jedes Fahrzeug eine maximale Geschwindigkeit $ \bar u$ besitzt, tritt in vielen Applikationen eine Sättigung auf, falls der Zielpunkt zu weit entfernt ist. Demnach ist

$\displaystyle u$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma e$   sat$\displaystyle (\gamma, e, \bar u)$   mit$\displaystyle \quad \gamma > 0$ (7.27)

wobei
sat\begin{displaymath}(x,y) = \left\{
\begin{array}{ll}
1 & \forall x < y \\
\frac{y}{x} & \forall x \geq y
\end{array}\quad \forall x,y > 0
\right.\end{displaymath}      

eine Saturierungsfunktion ist. In dieser Situation wird aus (A.22) und (A.27) die Zustandsgleichung (A.24) zu:
$\displaystyle \dot e$ $\displaystyle =$ $\displaystyle -\gamma e$   sat$\displaystyle (\gamma, e, \bar u)\cos \alpha$  
$\displaystyle \dot \alpha$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \- \gamma$   sat$\displaystyle (\gamma, e, \bar u)\left(\beta \alpha - h \theta \frac{\sin \alpha}{\alpha} \right)$  
$\displaystyle %%label{dgio3}\\
\dot \theta$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma$   sat$\displaystyle (\gamma, e, \bar u)\sin \alpha.$  

Eine Rechnung ergibt die gleichen Lösungen für diesen Fall; allerdings muss die Konstante $ \beta$ die Bedingung
$\displaystyle \beta \geq \frac{4 e_0}{3 \pi^2}$      

erfüllen [46].


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Andreas Nüchter
2002-07-10